Quicksylver

"Die Beantwortung der Frage, ob es eine mittelniederdeutsche Schriftsprache für den schriftlichen Verkehr gab, muss bejahend ausfallen, wenn man [...] nicht ein völliges Aufgeben aller lokalen Formen zugunsten einer "Mittelsprache" verlangt, nicht eine Einheitsprache, die über den Dialekten steht, sondern wenn man ihn in dem deutlichen Streben erfüllt sieht, gewisse stark abweichende Züge der Lokalsprache zu vermeiden."

- Agathe Lasch, mittelniederdeutsche Grammatik, 1913


Inhalt


Allgemeines

Quicksylver ist eine von der Hansezeit inspirierte Schreibkonvention für das Plattdeutsche, die überregionale Verständlichkeit mit genauer lautlicher Wiedergabe vereinbart. Die Schreibweise eines jeden Wortes basiert auf der damals gängigsten, insbesondere Langvokale werden durch typische Zeichenkombinationen repräsentiert. Weitere wichtige aus jener Zeit übernommene Punkte sind:

  • - Bezeichnung der zerdehnten Laute auch in Westfalen durch e und o
  • - Bezeichnung der beiden aus germanischem ai entwickelten Laute durch e
  • - die Verwendung übergeschriebener Zeichen zur feineren Lautunterscheidung
  • - Wiedergabe von aus nd entwickelten Lauten als nd

Wichtige Neuerungen sind dagegen:

  • - Bezeichnung des Umlauts
  • - Wegfall rein ornamentaler Buchstaben
  • - Bezeichnung des zerdehnten o auch im Norden durch ô anstatt a

Das Resultat ist dabei angenehm unaufgeregt: Ortsnamen wie Juist oder Bremen-Vegesack, Norderney oder Langeoog, Verden oder Cuxhaven folgen bereits den im Folgenden vorgestellten Regeln. Das sollte nicht verwundern, entstammen sie doch der Hansezeit. Das macht das Lernen leichter und die Erfahrung echter. Möchte man genau sein, könnte man jedoch Brêmen-Vêgesack schreiben, so heißt es bei den Einheimischen: Brämen, nicht Brejmen. Die Einheimischen tun das in der Regel nicht, sie wissen wo sie wohnen. An einer Kirche in Osnabrück steht eine Inschrift über einem der Tore. Auch sie stammt aus der Hansezeit:

  • "Wat geloevestu van godt dem vader? - Dat he my lyff unde seele gegeven hefft unde alles, wes ick van noeden hebbe, tidtlick unde ewichlick"

Wir würden schreiben:

  • "Wat loevest du van God den vâder? - Dat he mi lyf un sele gëven heft un allens, wes ik van noeden hewe, tydlyk un ewiglyk"

An zwei Stellen sind neue Zeichen aufgetaucht. Sie deuten Besonderheiten der Osnabrücker Aussprache an. Der Hamburger würde schreiben:

  • "Wat loefst du van God den vader? - Dat he mi lyf un sele gêven het un allens, wes ik van noeden hef, tydlyk un ewiglyk"

Und so verhält es sich überall. Welche Zeichen übergeschrieben werden, unterscheidet sich ein wenig von Ort zu Ort, wie die einzelnen Buchstaben ausgesprochen werden noch mehr. Doch solange die Aussprache regelmäßig bleibt (dafür sorgen jene sonderbaren Zeichen), ist es nur eine Frage der Gewöhnung. In Bezug auf die übergeschriebenen Zeichen ergeben sich folgende orthographische Familien:

  • - Überregionale Darstellung
  • - Schleswisch, Holsteinisch, Hamburgisch, Elb-Weser-Ländisch, Nord-Hannoveranisch, Jeverländisch, Nord- und Südoldenburgisch, Nordemsländisch
  • - Vorpommersch, Strelitzisch, Mecklenburgisch, Wendländisch
  • - Ostfriesisch, Gronings, Nord-Drents, Westkwartiers
  • - Mittel- und Süddrents, Urkers, Sallands, Ost- und West-Veluws, Stellingwarfs
  • - Twents, Achterhoeks, Westmünsterländisch, Südemsländisch
  • - Münsterländisch
  • - Sauerländisch
  • - Heide-Ostfälisch, Zentral-Ostfälisch, Börderplatt, Bode-Ostfälisch, Göttingisch-Grubenhagensch
  • - Mittelpommersch, Nord- und Mittelmärkisch

Die Dialekte unterscheiden sich hauptsächlich in der Verwendung der Diakritika. Das Wörterbuch setzt jedoch keinerlei Sonderzeichen bei der Eingabe voraus, gibt aber die Schreibweise in der eingestellten (!) Dialektfamilie an.

Informationen zur Aussprache in den einzelnen Dialektfamilien mit Beispielen zur Verschriftlichung finden sich hier. Allgemeine Schreibregeln führen wir im Folgenden auf:


Herkunft der Vokalzeichen

Die in Quicksylver verwendeten Vokalzeichen sind typischen Schreibweisen der Hansezeit entnommen. Buchstaben wurden damals aus Platzmangel auch häufig über- statt nebeneinander geschrieben, was wir für stets lange Vokale nicht so halten. Lange Vokale bezeichnete man damals, vornehmlich in geschlossener Silbe, durch Verdopplung des Vokalzeichens, also aa, ee und oo. In alten Texten findet man häufig zwei Punkte über dem y, also ÿ, was sich wohl aus ij erklären lässt (noch heute wird im Niederländischen ij handschriftlich als ÿ geschrieben). Dieses hatte sich aus ii entwickelt. Orthographisch gilt das von uns verwendete y darum als Doppelzeichen. Das gilt jedoch nicht für das y in sylf und sylver, welches einer lange im Nordniedersächsischen gebräuchlichen, skandinavischen Umlautbezeichnung entstammt und einen kurzen Vokal bezeichnet. Sie wird nur in einer handvoll Wörter noch verwendet. Wenig gebräuchlich war uu. Zur Unterscheidung von n und u schrieb man letzteres häufig als ŭ oder ů. Diese ähnelten, da man verschnörkelt schrieb, leicht einem übergeschriebenen e, also , und wurden schließlich auch als solches verstanden. In geschlossener Silbe schrieb man auch gerne ue, weswegen wir dieses Zeichen verwenden. Vor allem im Friesischen und Ostfälischen verwendete man häufig ui und iu für den Umlaut des obigen ue, darum auch Juist. Manchmal schrieb man auch , was wir eingabefreundlich zu ü stilisieren. Ganz logisch steht ui dann für langen, ü für kurzen Vokal. Nicht nur in obiger Inschrift trifft man oe für den Umlaut von oo an, dessen kurzes Gegenstück wir mit ö bezeichnen. bezeichnete zur Hansezeit helles, zerdehntes a wie in hâse, im Gegensatz zu dunklem a wie in avend. Als Zeichen der Zerdehnung des e verwandte man , für zerdehntes o und oe analog , welche später auch als zum Beispiel oder ë in Erscheinung traten. Da sie in einigen Dialekten auch für einen kurzen Vokal stehen können, vor allem bei Wörtern auf -el und -er, und ein Doppelzeichen dort verwirren würde, geben wir Zerdehnung als einzelnes Zeichen wieder, wie in der Hansezeit auch im Westfälischen durch a, e und o, mit einem aus der alten Schreibweise stilisierten Akzent (`) darüber. Es ergeben sich so hâse, brêken, bôven und slœtel. In manchen Dialekten unterscheidet man hier weitere Laute, die wir in solchen Fällen mit gëven und œ̀lie bezeichnen. Aus seiner Funktion als hellem a motiviert verwenden wir zu ä stilisiert in folgender Weise: Da der Laut in kärke je nach Dialekt zwischen a und e schwankt, also überregional betrachtet wie ein sehr helles a agiert, wird die Kirche eben so geschrieben: kärke. Wo es von dem a in dag nicht unterschieden wird, kann man jedoch auch kark(e) schreiben. Umlaut von aa ist darum wie in der Hansezeit ee oder e, auch weil es sich von diesen oft nicht unterscheidet. Die Diphthongbezeichnungen auw, ouw, euw, ey usw. folgen im Wesentlichen ihrer Verteilung im Mittelniederdeutschen.


Schreibregeln


Lange und kurze Vokale

Wie oben angedeutet werden kurze Vokale mit a, e, i, o, ö, u und ü bezeichnet und stehen stets in geschlossener Silbe. Falls nötig wird der nachfolgende Konsonant dazu verdoppelt, falls möglich vereinfacht:

  • dag, setten, bitter, pot, mönk, hund, münt
  • Verdopplung: tal - tallen, kat - katten
  • Vereinfachung: setten - he set, swemmen - se swemt

Die Zeichen aa, ee, y, oo, oe, ue, ui, ê, ô, œ, ouw und auw bezeichnen stets lange Vokale und Diphthonge. Regional kommen noch â, ë, ò und œ̀ hinzu. Beispiele:

  • book, blauw, Juist, tyd, smêr
  • Ausnahmen: nyms, sylf, sylver, Sylt

In offener Silbe, also einer, die auf einen Vokal endet, stehen a, e oder o, wo man aa, ee oder oo erwarten könnte. Die Aussprache bleibt gleich. Beispiele:

  • gaan - ik ga
  • leed - leder
  • vlook - vloken

Für betontes e gilt dies nicht am Ende eines Wortes:

  • vee, see
  • Ausnahmen: he, se, te, we

a, e, o ersetzen auch vor rd und rn gegebenenfalls ihre doppelten Schreibungen. Das gilt jedoch nur, wenn das rd auch zum Wortstamm gehört:

  • bard, garden, stern, gern, word, nord
  • Aber: staren - staard, leren - leerd

o ebenso vor ld:

  • old, kold, volden

Wo der Wortstamm auf einen Vokal endet, stehen ow statt o, uw statt ue, und üw statt ui:

  • kow, strow
  • buwen
  • schüwe
  • Ausnahmen: nu, du, ju, to, wo, so

Überlänge

Einige Dialekte zeigen ein als Knick bekanntes Phänomen. Für diese gilt: Jeder der oben aufgeführten Vokale besitzt ein überlanges Gegenstück. Wenn es am Ende eines Wortes (ausgenommen Endungen von Adjektiven und Adverben) steht, hat unbetontes e keinen eigenen Lautwert und zeigt diese Überlänge (pd. "Knick") eines vorhergehenden betonten Vokales an:

  • maye [mɑːi̯] "(ich) mähe"
  • alle [ɔːːɫ] "alle"
  • wyde [viːːd] "Weide (Baum)"
  • barge [baːːɣ] "(ich) berge"

Das gleiche gilt auch für unbetontes e in Flexionsendungen, wenn es auf einen Langvokal und stimmhafte Konsonanten folgt:

  • lêvet [lɛːːft] "(wir/ihr/sie) leben"
  • vallen [faːːɫn] "fallen"
  • vraget [frɔːːxt] "fragt!"

Kurzvokale können nur in Verbindung mit l Überlänge tragen:

  • Elve [ɛːːɫv] "Elbe"
  • wülve [vʏːːɫv] "Wölfe"
  • bilde [bɛːːɫd] "Bild"

Unter den gleichen Bedingungen tritt Überlänge vor -isk auf. In diesen Fällen ist das i stumm.

  • vigelynisk [figl̩'iːːnsk] "kompliziert"
  • Japanisk [ʑa'pɔːːnsk] "japanisch"
  • aber: Sassisk ['sasɪsk] "niederdeutsch, plattdeutsch"

é und ó (optional)

Einige Dialekte unterscheiden verschiedene aus früherem e beziehungsweise o hervorgegangene Laute, was wie im Wörterbuch mit einem Akzent gekennzeichnet werden kann:

  • Gróót Bookholt, ree, lééf (Südwestfalen)
  • Groot Bóókholt, kleed, stéén (Ostfalen)

Konsonanten

Der Buchstabe d wird geschrieben, auch wenn er assimiliert wurde oder stumm ist, außer es ist Teil der Endung -de, dann existieren Doppelformen:

  • ander, vinden, bevründen
  • warden, garden, erde
  • holden, volden, melden
  • ryden, hoeden, trêden
  • Endung -de: Sg. en / ende - aber Pl. enden, Sg. stun / stunde - aber Pl. stunden

Trifft in der Verbalflexion ein d mit einem t zusammen, wird der zweite Buchstabe nicht geschrieben:

  • vinden - he vind
  • setten - se het set

Nach kurzem, betonten Vokal schreibt man ck anstatt k:

  • dick, sack, acker, blicken
  • Aber: etik, estrik, grammatik
  • Ausnahmen: ik, mik, dik, sik

Im Auslaut statt v immer f, im Inlaut statt f immer v:

  • blyven - he bleef
  • gêven - gif!
  • deef - deve
  • breef - breve

In anderen Fällen gibt es solche Wechsel nicht! Vor dem Stammvokal schreibt man sch, danach sk:

  • Swedisk, wasken, visk
  • schryven, schole, schoen

Als Teil eines Diphthonges wird y zu i, wenn es neben einem Konsonanten steht:

  • ey, wayen, bloeyen
  • dat het waid, se het bloeid
  • drayen - he drait

Nach einer betonten Stammsilbe schreibt man die Adjektivendung -isk, nach -er und sonst -sk:

  • Engelsk, kôldrêgersk (kohlentragend)
  • knôkenhouwerske (Schlachterin / Frau des Schlachters), kowherderske (Kuhhirten / Frau des Kuhhirten)
  • Sassisk, Japanisk, kruidenersk (!) (den Kräuterhändler betreffend)

Groß- und Kleinschreibung

Großgeschrieben werden Eigennamen, hiervon abgeleitete Wörter und am Satzanfang (wie im Englischen):

  • hund, kat, mues, vervaten, rêgenbôge, nordervluis
  • Ysland, Vrankryk, Sassisk, Engelsk
  • Rowen (sächsische Prinzessin aus der Sage)
  • Heerbrand (ein legendärer Drache)
  • Kramers Anton (Anton Kramer), Rosen Gerd (Gerhard Rose)

Vollformen

Zusammenziehungen werden abweichend von der Aussprache in aller Regel nicht geschrieben:

  • blyven, nicht "blym"
  • ryden, nicht "ryn"
  • enen, nicht "en"
  • aber: int = in dat

Fremdwörter

Fremdwörter werden in der Regel so geschrieben wie in der Ausgangssprache:

  • Latein: cichorie, hyacinth, intricat, conjugeren
  • Deutsch: zucker, strafen, zier, mütz, kledage
  • Griechisch: thymean, poetisk, hierarchie
  • Französisch: limonie, banquet, cognac, intrigue, garage, machine
  • Englisch: shampoo

Lautlich integrierte Bestandteile werden jedoch in der Schreibung angepasst:

  • Latein: natuer - natuirlyk, choor - choere, universiteet, cykel
  • Französisch: eventuir, riveer
  • Spanisch: chocolade, mosqueet, cacao

Zur Aussprache von Fremdwörtern im Sassischen siehe unter Aussprache (demnächst).